Samstag, 24. September 2011

Auch eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit einem ersten Schritt.

Es war soweit. Nach vielen Monaten Erwarten, Planen und Entgegenfiebern, einer zweiten Woche Vorbereitungsseminar im Odenwald und der Entsendefeier der Karl-Kübel-Stiftung standen die letzten Tagen ins Haus. Sammeln, Packen, Wiegen, Auspacken, Umpacken, Ausmisten, wieder einen Versuch wagen. 23,5 kg Gepäck, das wird wohl gehen. Dann letzte Tage im Kreise der Familie, mit den Freunden und allen Lieben. Ein großes Sommerfest, viel  leckeres deutsches Essen und Beisammensein.

Alles aufgesaugt wie ein Schwamm tragen wir die letzten Begegnungen und Umarmungen fest in unseren Herzen, als wir mit dem für ein Handgepäckstück viel zu schweren Tourenrucksack auf dem Rücken und dem Koffer im Gepäck am 6. September zum Flughafen stiefeln.

Dann heißt es „Auf Wiedersehn“. Und obwohl wir in unseren Herzen eben genau diese Gewissheit,  in jedem Fall auf ein Wiedersehen zu gehen, und all die Vorfreude, all das Fremde und Neue nun tatsächlich erleben zu dürfen, tragen, füllen sich unsere Augen unweigerlich mit Tränen, Krokodilstränen, die unbeirrt unsere Wagen herunterkullern. Eine letzte feste Umarmung, letzte Küsse und dann ist es vorbei. Wir kommen ans Gate, staunen über quietschige Kinder und die vielen Frauen, die trotz der bevorstehenden 9 Stunden Flug einen perfekt gewickelten Sari tragen, und tief in mir spüre ich, Deutschland ist passé, Yeh mera India, wir kommen. Unser erster Schritt ist gemacht.

Pünktlich um Mitternacht heißt uns dann das schwül warme Chennai willkommen. Zwei Grenzbeamte, die unterschiedlicher nicht vorgehen könnten, kontrollieren ein erstes Mal die Pässe und Visa. „No, no Miss, stand center desk, please“ und „NGO? Where Director Sir’s name, please!?“ , Kopfgewackel, “Mhmh, no problem. Ok.” So müssen wir unweigerlich anfangen zu lachen, als wir keine 5 Meter weiter wieder kontrolliert und mit Kopfgewackel und “Aha, Volunteer, NGO, Mangalore? Aha, Mangaaaluuur. Ok“ in Empfang genommen werden. Erste Begegnungen mit stinkigen indischen Klolöchern ohne Klopapier, einem Schwitzfilm auf der Haut und viel Glotzglotz  von Leuten, die hinter einer Absperrung stehend uns das Gefühl geben, die Sonderattraktion im Zoo zu sein, machen die kommenden 6 Stunden Wartezeit perfekt. Im nationalen Terminal des Flughafens angekommen bewundern wir das mitten im Terminal stehende Xray-Screening-Band, auf dem alle Gepäckstücke gescannt aber nicht wirklich ernsthaft gecheckt werden und amüsieren uns erneut über den Beamten, der erst um 3, dann um halb 4, schließlich, als sein Director eintrifft, um viertel nach 4 morgens mit dem Screening beginnt. Mal eben geben wir das Gepäck auf, auf die indische Art gibt es nicht einmal für jedes aufgebende Gepäckstück eine entsprechende Bestätigung, aber immer gerne „No Problem, Miss.“ Ebenso die Handgepäckkontrolle, für die sich einige unserer Mädchen ohne sich der Schwere ihres Fehlers bewusst zu sein und absolut fälschlicherweise in die Reihe der männlichen Passagiere einreihen. Nach viel Glotzglotz und nachdem ein manches Teil durchgewunken, ein manches Stück mehrfach gescreent ausgepackt werden muss, sind auch die letzten Hürden vor unserem einstündigen Flug nach Coimbatore geschafft.

Am Ziel unserer Reise angekommen empfängt uns Malathi, eine ganz wunderbare Person, die alle zwölf noch so ermatteten Freiwilligen sofort in ihr Herz schließen. Sie wird als Mentor of Mentors und  im wahrsten Sinne dieser Abkürzung, nämlich irgendwie auch als Mom, die kommende Orientierungswoche mit uns im KKID, dem Karl Kübel Institute for Development  Education, verbringen und durch ihr unschlagbar ansteckendes Lachen und ihr einzigartiges Wesen in jedem Moment gut tun.

Aber wie kann man sich in Indien, diesem  unbeschreiblichen und vor Gegensätzen nur so strotzenden Land, unserer zukünftigen zweiten Heimat, orientieren?  Ganz einfach: Einfach Augen auf, loslassen und erleben! Gesagt, getan.

Nach einem ersten scharfen Chutney zum warmen Frühstück und einem langen Mittagsschlaf erkunden wir den bezaubernden Campus des KKIDs  und werden am selben Abend  von der ersten kalten indischen Dusche beflügelt, die wir mit einem kleinen Eimerchen selbst über den Kopf geschöpft wirklich genießen.

Die darauffolgenden Tage halten viele bunte Momente für uns bereit:  In einem halboffenen Crossland-Jeep sitzend bläst uns die warme und geruchsschwangere Luft um die Nase, als wir uns in die umliegenden Bergdörfer aufmachen. Durch die Besuche eines Kindergartens, einer Schule und einer Ziegelsteinfabrik, das Gespräch mit einigen Frauen einer Selbsthilfegruppe sowie die Begehung der  kleinen, meist aus einem oder zwei Räumen bestehenden Häuschen lassen uns schnell in der Realität des ländliches Südindiens ankommen.

Dass das Leben die unterschiedlichsten Gesichter haben kann, wird uns spätestens dann klar, als wir nach dem ersten Besuch eines Hindutempels von den Ordensschwestern des Good Shepherd’s Health and Education Centers in Empfang genommen werden und mit dem hinduistischen Bindi, einem kleinen roten Punkt, dem dritten Auge, auf der Stirn,  das Matthäusevangelium hören. Ebenso fühlt es sich ganz sonderbar an, nach der Begegnung mit Bewohnern eines abgelegenen Stammdorfes, die noch nie zuvor einen weißhäutigen Menschen gesehen haben, am nächsten Tag ins wuselige und unübersichtliche Stadttreiben Coimbatores einzutauchen.

Das erste offizielle Essen in einem Hotel (warum die Restaurants hier Hotels genannt werden, ist uns bis heute ein Rätsel) überstanden, während dessen wir noch mit den Regeln der Nahrungszufuhr kämpfend DIE Attraktion für die belustigten Kellner und Gäste sind, plündern wir die Damenabteilung des nächsten Kaufhauses. Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit zahlreichen Tüten bepackt zwengen wir uns jeweils zu sechst in ein Minitaxi, ein wahrhaft minikleines Autochen, in dem man schnell das Gefühl bekommen kann, im lebhaften indischen Verkehr den Kürzeren zu ziehen. Wohin die Reise geht, bleibt Geheimnis, bis wir in einer kleineren Seitenstraße vor einem Wohnhaus aussteigen und herzlichst von Malathis Familie in Empfang genommen werden.

Während unseres Family Stay erhalten wir noch ein weiteres Bild der indischen Gesellschaft, eine gebildete Familie, modern und doch eng mit ihren Traditionen verbunden. Leckere Snacks, viele Gespräche mit den Nachbarn und unser erstes echtes Henna-Mehendi machen den Tag perfekt.



Die Zeit vergeht wie im Fluge, schon ist es Sonntag, ein erstes Sonntag fern von der Familie, den Liebsten, der Heimat. Doch nach einer Runde Gruppenumarmung waschen wir uns das Heimweh im wahrsten Sinne von der Seele: Kleiderwaschen mit der Hand für Anfänger unter der Leitung von Magic Malathi. Als alle Kleider auf der Leine hängen, ist es soweit: Unsere Mentoren treffen ein, aus der Gruppe von 12 deutschen Freiwilligen wird ein 25-köpfiger bunter Haufen, der in den verbleibenden zwei Tagen in vielen Gesprächen und Begegnungen mixt und mingled. Man versucht den kommenden 7 Monaten ein Gesicht zu geben, plant, klönt und plaudert, schnuppert und genießt die durch und durch feminine Energie.

Doch geht auch die schönste Zeit einmal zu Ende, ab Dienstagnachmittag heißt es Abschied nehmen. Team für Team verlassen wir unsere liebgewonnene Malathi und mit ihr das KKID, wieder Adieu, Umarmung, eine kleine Träne, bei dem Gedanken, die neugewonnene Familie erst wieder im November zum Midtermworkshop zu treffen. Für uns wird es Mittwochmorgens ernst: Um 6 Uhr brechen wir auf, erst ein Jeep zum Busbahnhof, dann einmal Busfahren nach Mysore und noch einmal 4 Stunden bis Tarikere.

Nichtzuletzt durch die wunderschöne Szenerie der exotischen Natur, das Panorama  und die vielen wilden Äffchen, auf die wir immer wieder Blicke erhaschen können, wird mir klar, dass wir tatsächlich angekommen sind. Das ferne Indien mit all seinen ganz eigenen Reizen ist nicht nur ganz nah, sondern nun tatsächlich da.

Was mich da so sicher macht? Freilaufende Kühe auf der ohnehin chaotischen Straße, die kleinen Äffchen am Straßenrand, ja sogar eine einmalige abendliche Begegnung mit einem echten wilden Elefanten, der wie aus dem Nichts vor unserem Bus auftaucht. Nicht zu vergessen das scharf indische Essen, immer warm, immer viel, immer lecker. Und was wäre Indien ohne Zwischenfälle in einem reibungslos gedachten Plan: mal hier ein bisschen verspätet, mal da spontan, oder eben gleich ein platter Busreifen mitten im Irgendwo, der uns dazu bringt, früher als gedacht auf die Öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Ebenso spontan ein Stromausfall, schwups, Leitung tot. „Ok, wo ist nochmal unsere LED-Kopfleuchte? Ah, gut egal, Licht ist wieder an.“ Ein Auf und Ab, dass jedem Augenblick seinen ganz eigenen Zauber verleiht…





Weiter geht’s. Augen auf, Loslassen und Erleben. Oder in den Worten unseres Yogalehrers, „May your entire day be filled with peace and joy, love and happiness!”

2 Kommentare:

  1. Weiterso, Johanna (und Anna)! Alles Gute und Liebe euch und alle die ihr trifft.

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  2. Beeindruckende Fotos und interessante Geschichte =) Sehr schön ihr zwei Hübschen! Alles Liebe!

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