Freitag, 11. November 2011

60 Mal "never-ending energy". 5 Tage lang.

Es ist noch Ferienzeit, nach einer Woche Festival sind unsere Kinder aus ihren Familien zurückgekehrt. Es ist ein warmer Montagmittag Mitte Oktober. Und es liegt etwas in der Luft, die Hausdamen und –herren machen sich bereit für den großen Besuch. Ein Schwirren und Wuseln. Ich frage mich, wer hier letztlich herausgeputzter wirkt: das frischgefegte Hostel oder unsere Mädels, die ganz entzückt von dem Gedanken sind, dass Männerbesuch ins Haus steht. Da ist es auch schon soweit: Auf der Ladefläche eines kleinen Transporters erreicht uns die erste Fuhre Kinder, 15 quirlige Kleine aus dem anderen Hostel in Duglapura. Ein lautes Hallo, Geschwisterkinder fallen sich in die Arme, andere halten sich noch etwas scheu im Hintergrund. Wenig später treffen auch die „Bhootanahalli-Boys“ ein, 15 coole Kerle aus dem dritten VIKASANA-Hostel, die in den kommenden Tagen den Laden einmal ordentlich aufmischen werden. 

Nach dieser herzlichen Begrüßung finden sich alle zusammen, nun ganz ordentlich und in Reihe und Glied. Shruthi eröffnet gemeinsam mit den in dieser Woche anwesenden vier Lehrerinnen und den drei Akkas, Hylary, Anni und mir, das Programm: Herzlich willkommen zu unserem Chattanahalli Summer Camp, zur „Creative education week“!

Auf der Agenda stehen neben morgendlichem Yoga  auch diverse Classes: Musik- und Zeichenunterricht, Kannada mit den Lehrerinnen und Englisch mit uns Akkas. Wir versuchen in den wenigen Tagen einige Basics zu vermitteln, spielerisch nähern wir uns Themen wie „Meeting friends“, „Me and my family“ und „Feelings“.


Mit Stolz erkennen wir, wie vergleichbar fortgeschritten das Englisch unserer Chattanahalli-Kinder ist, freuen uns jedoch gleichermaßen, dass auch unsere interessierten Besucher etwas von den spaßigen Übungen mitnehmen können.

Dann wird es auch schon Zeit, zu Mittag zu essen, bevor es mit dem Nachmittagsprogramm weitergeht. Das Gebet, das die 60 hungrigen Kinder aus vollem Herzen sprechen, muss –so glaube ich- noch in kilometerweiter Ferne zu hören sein. 


Gesättigt und glücklich geht es weiter mit dem gruppenweisen Herstellen kreativer Unterrichtsmaterialien. Es wird gemalt und gebastelt, genäht und modelliert, geschrieben und geschnipselt.


Schließlich ist es genug der Arbeit. Am späten Nachmittag wartet Spiel und Spaß, auch einige ganz besondere Überraschungen. Neben einer ordentlichen Partie Kricket, die hier in Indien natürlich nie fehlen darf, zaubert eine Runde „Mensch, ärgere dich nicht“ in Lebensgröße Begeisterung in die Kindergesichter. In vier Teams treten je drei Läufer auf das Spielfeld, folgen der Augenzahl des großen Würfels und schicken voller Schadenfreude ihre Konkurrenten zurück auf die Startposition. 


 


Nicht genug mit den guten alten Spielen aus Deutschland, an einem anderen Tag raten und rennen jene Gruppen um die Wette, in einer echten Schnitzeljagd. Trotz der vielen Rätsel ist der Schatz schnell gefunden, eine Menge Süßes und einige Spiele werden aber natürlich von allen geteilt.






Auch abends erwartet unsere Bagage jede Menge Unterhaltung: Einmal steht Kino auf dem Plan, wir zeigen „Slumdog Millionaire“, es gibt Bananenchips anstatt Popcorn. Ein Anderer ist voll Quizfragen und eifrigem Rätseln. Am letzten gemeinsamen Abend schließt eine Talentshow, ein kunterbuntes kulturelles Programm voll Tanz, Gesang und Theater, die Woche ab.
 Auch wir bemühen uns, zu den uns inzwischen so vertrauten Klängen auf die indische Art zu tanzen, mehr schlecht als recht. Aber immerhin. „Yeh mera India, I love my India!“  Der krönende Abschluss ist ein Tanz für alle: die Musik dröhnt, wir hüpfen zwischen all den Talenten auf und ab, es tanzt der ganze Raum.

Bevor unsere Gäste am Freitagvormittag ihren Heimweg antreten, präsentiert jede Gruppe noch stolz ihre hergestellten Materialien. Es ist wirklich alles dabei, Infoposter über Karnatakas Poeten, eine Styroporlandschaft zum Erlernen der Verkehrsregeln, ein Ganesha aus Lehm, Stelzen aus Kokosnusshälften und unsere Sockenpuppen. Ganz nach dem Motto „creative education“ eben!




Donnerstag, 3. November 2011

Ein Wochenende verkehrte Welt

Unser geliebtes Hostel hier in Chattanahalli ist ruhig, die Luft ist frisch, der Blick vom Dach auf die Berge ist wundervoll. Vor einigen Wochen erwartet uns jedoch genau das Gegenteil - Bangalore.

Die erste Hürde, die zu schaffen war: wie kommen wir aus unserem abgelegenen Dörfchen zur nächsten Bushaltestelle?
Letztlich war das Transportmittel ein Eiswagen, in dem 6Mädels, unsere beiden Mentorinnen, zwei weitere Lehrerinnen und wir, eng aneinander gekuschelt durchgeschüttelt wurden. Da fiel es nicht allzu schwer, auf die mitfahrenden Leckereien zu verzichten.

Um 5 Uhr morgens kommen wir schließlich nach einer langen huppeligen Busfahrt, sozusagen einer full body massage, in der NGO „Vidyanikethan“ in Bangalore an, um dort zu erfahren, dass unsere Reise noch nicht zu Ende sei und der Workshop für die Herstellung von Unterrichtsmaterialien, an dem wir teilnehmen sollten, im 40 km entfernten Hossur stattfinden würde.


Mit Keksen im Gepäck geht’s also wieder los und zwar in einem, wie sollte es auch anders sein, völlig überfüllten Jeep. Wir haben generell immer was zu Naschen dabei, da man bei den sich andauernd ändernden Plänen schon mal mit längeren Wartezeiten zu rechnen hat -sprich mehrere Stunden. Doch wer sagt’s denn, ganz aktiv haben wir diese Zeit in Bangalore genutzt: durch die Entdeckung einer liebenswürdigen und fortpflanzungsfreudigen Lausfamilie auf Jos Kopf.

Freudige Rufe bei jeder gefundenen und wenig später vernichteten Laus -„Kill, Jo, Kill“- machen das zu einer sehr amüsanten Angelegenheit. Komischerweise sind auf meinem Kopf nichts zu entdecken, obwohl wir der festen Überzeugung sind, dass diese verflixten Dinger eigentlich eine sich fröhlich austauschende Familie auf beiden unserer Köpfe gründen müssten –wo doch sowieso hier auf jedem anderen Kopf diese kleinen Tierchen tanzen. Naja, nachdem Jo es auch schon mit einer rotäugigen Ratte aufnehmen musste, die sich eines Nachts über die übriggebliebenen Chapatti auf unserem Nachttisch  hergemachte, wird das wohl kaum ein Problem sein. Ehrlichgesagt ist sie fast schon etwas zu beneiden, da unsere Kinder gekonnt alle paar Tage eine Entlausung vornehmen, zu vergleichen mit einer sechshändigen Kopfmassage.

So wieder zurück nach Bangalore. Bevor es tatsächlich losgeht machen wir noch ein Stopp im „Puppenhaus“- so haben wir uns zumindest gefühlt, als wir zwischen dem extra für das Desara Festival arrangierten Spektakel abgelichtet wurden.


Letztendlich, am Ort des Geschehens, in dem Hostel in Hossur angekommen, waren wir doch etwas erstaunt über die zwölf Damen, die allesamt wie es aussah die Teamer für ausschließlich uns sechs Teilnehmer waren. 

Wir lernten wie man aus den gewöhnlichsten Gegenständen, wie zum Beispiel Kokosnüssen, Unterrichtmaterial herstellen kann, erhielten einen Einblick in die Dokumentationsarbeit des Kinderheims, wie durch regelmäßige Verhaltensanalysen die Kinder optimal gefördert werden können und bekamen Lernspiele vorgestellt, die wir dann mit vollem Körpereinsatz üben durften. Als es dann jedoch daran ging ein Spiel von unserer Seite beizutragen und wir Big Fat Pony anfingen zu singen und zu tanzen, machten nur manche ganz mutig mit, während der Rest sich kichernd zurückgezogen hatte.

Nach einem anstrengenden Tag übernachteten wir allesamt bei der Schwester unserer lieben Bridge School Lehrerin Roopa. Die Gastfreundschaft hier in Indien ist rührend, die dreiköpfige Familie empfing uns sechs Damen ohne zu zögern herzlich in ihrem 2-Zimmer-Heim, bekocht uns mit indischen Leckereien und stellt ohne Widerrede das Schlafzimmer ihrer winzig kleinen Wohnung bereit. Obwohl wir uns mittlerweile an das gelegentliche auf dem Boden übernachten gewöhnt haben, müssen die „Foreigners“ natürlich im einzigen Bett des Hause schlafen.

Gestärkt von einem wie immer leckeren Frühstück geht es zurück in das Kinderheim. Von der liebenswerten Koordinatorin bekommen wir genaueres über die Arbeit der NGO mitgeteilt: Der Name „Vidyanikethan“ bedeutet Licht bringen. So versucht die NGO Licht in das Leben von Müttern, die ihr Geld durch Prostitution verdienen, und ihren Kinder zu bringen. In Indien verdient eine Prostituierte zwischen 100 und 150 Rupie, das sind keine drei Euro. Oftmals ist ihrs Situation ausweglos: Entweder in jungen Jahren dazu gezwungen, nicht ausgebildet oder inzwischen geschieden und damit aus der Gesellschaft ausgeschlossen bleibt ihnen oftmals keine andere Wahl, als ihren Körper zu verkaufen. Um ihren Kindern das Aufwachsen in einer sicheren Umgebung zu ermöglichen, nimmt die NGO diese in ihren Heim auf, sorgt dafür, dass sie eine Schulbildung bekommen und hilft den Älteren dabei, eine Berufsperspektive für ihr Zukunft zu entwickeln. Die Mütter werden ebenfalls unterstützt, Möglichkeiten werden ihnen aufgezeigt (doch meist nicht befolgt) und Aufklärung und Gesundheitsbewusstsein wird vermittelt.


Wir hatten zwei sehr interessante Tage in Hossur voller neuer Eindrücke, die uns wie immer viel zum Nachdenken und Reflektieren anregen. Doch zuerst steht nun doch noch ein vollgepackter Tag in Bangalore bevor. 


Wir hatten einen straffen Sightseeingplan auf die Beine gestellt. Doch da uns ein Fahrer zur Verfügung gestellt worden war, dürfte es wohl kein Problem sein, all die Orte an einem einzigen Tag abzuklappern. Erste Station: National Park. Eine Fahrt, die eigentlich 15 Minuten dauern sollte, zog  sich ins unendliche, da unser „netter“ Fahrer anscheinend der Meinung war, der National Park befinde sich in der Stadt. Gut. Dem war nicht so. Wenn man jedoch einmal in der überwältigend großen Stadt drin ist, wird ein schnelles Entkommen fast unmöglich.
Deshalb ließen wir Bangalore erst mal durch die Autoscheibe auf uns einwirken: Wolkenkratzer, chaotischer Verkehr und Menschenmassen. 
Doch vor allem verschmutzte Luft, sodass wir wie Verbrecher in unsere Schals eingewickelt, in den wie es aussah, immer grauen Himmel blickten.

Letztendlich kamen wir an dem natürlich montags geschlossenen National Park an. Na gut, dann geht’s eben wieder zurück in die Stadt. Nach einem weiteren Umweg und einem Strafzettel später bekam der gute Fahrer von uns dann insgeheim den Spitznamen „DD“, ganz nach dem Geschmack des Abkürzungen liebenden Indiens, Dull Driver.

Nach dem Besuch einer für unseren Geschmack doch schon sehr kitschigen, aber trotzdem schönen Kirche ist es auch schon ziemlich spät, sodass wir uns zu Fuß auf die Suche nach einem Hotel, sprich Restaurant machen. 

Ok, dann los. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll, so viele Autos, Menschen, Lärm. Eine Rikscha saust an uns vorbei. Ups, wir stehen ja mitten auf einer Kreuzung – Überforderung - der Einzige weg schien Augen zu und durch zu sein. Jo nimmt mich an der Hand und wir überqueren verwirrt die Straße zu unseren sechs ungeduldig wartenden Inderdamen, die gar nicht verstehen, wo denn das Problem liegt. 


Nach einer nicht ganz so gemütlichen Shopping Tour dank der „Time is up, time is up“ Rufe -wenn es den Ladies mal zu lange dauert- und ersten Handelversuchen ist unser Abenteuer auch schon wieder zu Ende. Wir machen uns auf den Weg zurück in unser geliebtes Hostel und werden von strahlenden Kindergesichtern empfangen. Es ist Zeit, durchzuatmen, in den strahlenden Himmel zu schauen und die Ruhe zu genießen nach diesem erreignisreichen Wochenendtrip.