Montag, 19. Dezember 2011

Halbzeit, ein erstes Resumé und die besten Weihnachtsgrüße in die winterliche Heimat

Es ist soweit, ein etwas anderer Advent liegt hinter uns, Weihnachten und Neujahr stehen vor der Tür. Und damit nicht nur eine erste Woche Urlaub für uns, die wir gemeinsam mit vier der anderen Freiwilligen am Strand von Goa verbringen werden, sondern auch Halbzeit. Wie im Fluge sind die ersten 4 Monate unserer Zeit hier in Indien vergangen, 4 wunderbare Monate, zahlreiche Begegnungen, Erlebnisse und Erkenntnisse, eine Zeit voll Glück und Freude.

Oft werden wir auf der Straße angesprochen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln gefragt, warum wir hier sind. Immer wieder ist unsere Antwort dann, dass es die Idee unseres Aufenthaltes ist, die indische Kultur zu studieren und die Dimensionen von NGO-Arbeit kennenzulernen, dass wir an einem interkulturellen Austauschprogramm teilnehmen. Oft denken wir uns jedoch, dass es für uns eigentlich um so viel mehr geht. Selbstverständlich ist jeder Tag voll von Erkenntnissen über Kultur und interkulturelles Zusammenleben. Nur ist es das, was wir über das Leben und über uns selbst lernen, was wir mit unseren Mitmenschen, Freunden und Lieben hier teilen können, was wirklich ein unermesslich wertvoller Schatz ist. Eigentlich studieren wir hier das Leben selbst, so scheint es mir, und zwar ganz ohne Schulweisheit und Theorie, einfach so, mit offenen Armen.

Dass uns all das durch die Organisation der Karl-Kübel-Stiftung und unserer Gastorganisation VIKASANA, die Unterstützung unsere Förderer sowie durch das "weltwärts"-Programm des Bundesministeriums für Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht worden ist, erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. Wir hoffen deshalb, dass wir durch unser Engagement nicht nur etwas für unser neues Zuhause hier tun, sondern auch ein wenig unser Umfeld in der deutschen Heimat bereichern können. Immer wieder versuchen wir hier auf unserem Blog etwas von dem mit euch zu teilen, was uns bewegt, was wir bewegen. Es ist schwer, Außenstehenden all das wahrhaft begreiflich zu machen, und doch hoffe ich, dass es uns gelingt, durch unsere Berichte und Impressionen ein kleinwenig euren Blickwinkel zu verändern und zu sensibilisieren.

Aber zurück zu den bevorstehenden Festtagen, die bei uns schon heute Abend mit einem Weihnachtsabend für unsere Kinder beginnen.


Unser vierter Adventsabend.

In einem kleinen Körbchen unter unserem Bett warten 41 kleine Tütchen voll wunderbarer Kleinigkeiten für die Kinder, vier weitere für unsere lieben Madames Shruthi, Mamatha und Roopa sowie unsere herzliche Köchin Aunty. Außerdem sind bereits gestern in einer „Creative Class“ farbenfrohe Papiersterne entstanden, mit denen wir später die Weihnachtstanne –den Stolz des Gartens- schmücken werden. Dank unserer wunderbaren Familien und deren adventlicher Päckchen, die uns in den letzten Wochen erreicht haben, wird es sogar echte deutsche Weihnachtsplätzchen für alle geben. An dieser Stelle tausend Dank für all die Liebe, die uns aus den Paketen entgegen geschwappt ist!



Wie unser „advanced“ Heilig Abend aber genau ausgesehen und was uns an Weihnachten selbst und während der Urlaubswoche in Goa erwartet hat, werdet ihr wohl erst im neuen Jahr erfahren.

Bis dahin wünschen wir euch allen -auch im Namen unserer Kinder, Freunde und der Mitarbeiter von VIAKSANA- besinnliche Festtage im Kreise der Lieben, eine winterliche Woche zwischen den Jahren, einen guten Rutsch und nur das Beste für 2012! 






Freitag, 16. Dezember 2011

What to do!?

Immer wieder werden wir in Emails oder während Telefonaten aus der Heimat gefragt, was genau eigentlich unsere Aufgabe hier im Projekt ist, wie wir uns in den Hostelalltag einbringen und welche Projekte wir bereits initiieren konnten. Deshalb wollen wir euch in diesem Eintrag einmal einen kleinen Einblick in unsere regelmäßigen Beschäftigungen und all die kreativen Ideen geben, die in den letzten Monaten aus uns herausgesprudelt sind.


Unsere Routine

Da wir den Alltag von 41 Kindern teilen, mit denen wir gemeinsam hier im Hostel in Chattanahalli leben, richtet sich unser Engagement immer nach den Bedürfnissen und Wünschen unserer Lieben. Auch zeitlich sind wir deswegen an den werktäglichen Nachmittag und Abend sowie die Wochenenden gebunden, da sich der Großteil des Tages in der Schule abspielt. 

Während sich die Kleinen bereits morgens um 6 Uhr zu Yoga und Meditation aus den Betten quälen, danach das Haus putzen und ihre Kleider waschen, sind wir spätestens ab halb 9 mit dabei. Nach dem Frühstück wohnen wir ihrem Morgenapell, der indischen Hymne und einem englischen Lied –„I went to school one morning…“- bei, bevor wir sie Hand in Hand vor zum Tor begleiten und warten, bis sich alle auf den Weg gemacht haben. 

Die Zeit bis zur Rückkehr der Kinder aus der Schule verbringen wir entweder hier mit dem Dokumentieren vergangener Projekten, der Vorbereitung von Unterricht oder ganz banalen Dingen wie Waschen, Aufräumen und gemeinsam mit unserer Aunty Mittagessen Kochen. Teilweise nutzen wir die freien Mittage auch, um in unserem Städtchen Tarikere Besorgungen zu machen, uns mit neuem Bastelmaterial einzudecken oder kurz im Office der NGO vorbeizuschauen. Doch bereits um 4 Uhr sind die ersten Kinder wieder zurück. 

Wenn alle eingetrudelt sind und bis es um 6 Uhr zum Gebet und Snack läutet, gestalten wir den Nachmittag. Es wird gespielt, getobt, sich unterhalten. Die aus Deutschland mitgebrachten Brettspiele und Memorykarten erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit.


Nach dem gemeinsamen Snack schließt sich das Abendprogramm an, das immer wieder auch von uns verantwortet wird. Zwei Mal wöchentlich gibt es Classtime, also Unterricht: Während Anni die Kleinen am Computer mit Word und Paint vertraut macht, biete ich für die Älteren Englischunterricht an. Begonnen mit einem „Vorstellungsgespräch“ sind wir inzwischen mit dem Sprechen über die Familie und aller Art von Gefühlen durch und auch den ersten grammatikalischen Regeln näher gekommen. Manch anderer Abend ist von eher kreativer Arbeit gefüllt, es heißt Drawingclass: Wir nennen ein Thema, es wird gemalt, jeder stellt den anderen abschließend kurz sein Bild vor und schließlich wird alles an „Museumsschnüren“ hängend ausgestellt.

Auf die Stift, fertig, los: eine abendliche Drawing Class.

In den Wochenenden sieht die tägliche Routine jedoch immer etwas anders aus: Samstag kommen unsere Lieben schon mittags aus der Schule zurück, der Sonntag ist vollkommen schulfrei. Bei guter Stromversorgung unterrichten wir die Älteren dann nachmittags in den Computerprogrammen Word und PowerPoint  und -wenn alles Putzen, Kleiderwaschen und die Hausaufgaben erledigt sind- wartet eine gemeinsame Playtime sowie musisches und kreatives Werkeln: Einmal wöchentlich besucht Nanda, eine 18-jährige Sängerin, das Hostel, um den Kindern traditionelle Gesänge beizubringen und auch wir basteln zu diesen Gelegenheiten mit den Kleinen an ganz besonderen Projekten herum.

Sonntagmorgen, Music Class: Unsere kleine Rashmi gibt ihr Bestes.

Damit ihr euch darunter mehr vorstellen könnt, hier einige der letzten Vorhaben, die den Alltag der Kinder „verbuntert“ haben.


Ein Projekt dem schönste Tag im Jahr gewidmet: Geburtstagstradition und ein bunter Kalender

Bereits zu Beginn unserer Projektzeit haben wir eine deutsche Tradition aufleben lassen, die uns noch aus alten Kindergartentagen bekannt war: Jedes Geburtstagskind kriegt eine aus einer alten Cornflakespackung gebastelten, regenbogenfarbene Krone aufs Haupt, nimmt vor allen anderen auf einem Stuhl platzt und wird während alle Kinder lautstark „Happy Birthday“ singen von uns hochleben gelassen. Dann verteilt das Kind der indischen Tradition entsprechend kleine Schokoladen oder Kekse an alle und schließlich darf mit dem Frühstück begonnen werden.


Doch fiel uns bei der ganzen Sache auf, dass manchen der Kinder erst nachmittags einfiel, dass  jener Tag ihr ganz Besonderer war, einige andere sogar nicht einmal wussten, wann sie geboren worden waren. Dem musste Abhilfe geschaffen werden, ein Geburtstagskalender musste her! 

Gesagt, getan. Es wurden 12 Blatt sonnengelbe Pappe gekauft, das Layout in allerlei bunten Farben gestaltet, diverse Fotos aus dem Hostelalltag ausgedruckt und eine Drawingclass zum Thema „Freundschaft“ veranstaltet. Anschließend wählten wir die zwölf besten und kreativsten Zeichnungen aus, darunter Bilder von Freunden beim gemeinsamen Spielen, beim Fahrradfahren und Blumenpflücken sowie während des Schulalltages, außerdem zwei Zeichnungen von Geschwister in freundschaftlicher Zuneigung. Als alles fertig arrangiert war, durften die zwölf Gewinner dieses Malwettbewerbs den anderen Kindern das Kalenderblatt präsentieren, welches ihr Bild ziert. –Eine große Aufregung war diese Abschlusspräsentation, auch wegen der Fotos auf jedem Monatsblatt, auf denen sich die Kinder beim Spielen und während der Ausflüge wiederfinden konnten.




 Doch das Wichtigste, der Zweck des Ganzen, das Zusammentragen der Geburtstage wurde durch das „cultural committee“ erledigt -eines von fünf Komitees, die für diversen Aufgaben im Hostelalltag verantwortlich sind. Mit Monatslisten ausgestattet rief jenes Komitee die Kinder namenweisen auf und hakte -im Zweifelsfall- in den offiziellen Registern nach. Schwupdiwup, alle Daten beisammen, konnte der Kalender aufgehängt und seither immer wieder zu Rate gezogen werden, bevor ein fröhliches „Happy Birthday“ das Frühstück einläutet.



Kleinigkeiten im Alltag

Nachdem der bunte Kalender samt der Fotos und Zeichnungen den Kindern so viel Freude bereitet hatte, haben wir kurzerhand lange Kordeln quer durch die Räumen gespannt, in denen die Kinder allabendlich ihre Hausaufgaben erledigen und unterrichtet werden, um daran die übrigen Zeichnungen zur Ausstellung zu befestigen. Nun wechselt das Thema unseres Heimatmuseums monatlich, die alten Bilder machen neuen Zeichnungen Platz. In der Studyhall der Kleinen windet sich seit Neuestem zudem eine Papierschlange durch die Luft, deren Körper aus dem Alphabet besteht und die während einer von Annis Unterrichtsstunden mit den Jüngeren entstanden ist. 

Auch die Sommercamp-Woche im Oktober sowie die Ausflüge nach Mysore und Hampi, von denen wir in den beiden letzten Posts berichtet hatten, boten eine gute Grundlage für ein neues kleines Projekt. Aus den Hunderten von Schnappschüssen, die wir während dieser Erlebnisse aufgenommen hatten, ließen wir Ausgewählte ausdrucken, arrangierten sie auf bunten Pappen und hängten sie für unsere Lieben an die Wände der Studyhalls. Als diese dann nachmittags aus der Schule zurück waren und die vielen bunten Plakate entdeckten, war die Freude groß!


Außerdem sind wir in den letzten Wochen immer wieder damit beschäftigt gewesen, gemeinsam mit den Kindern Grußkarten zu basteln. Alte Pappreste, goldenes „Dairy Chocolate“Papier, Fotos und bunte Stifte, ein bisschen Phantasie – schon waren einzigartige Karten hergestellt, nebenbei war ganz vorbildlich recycelt worden.  Ein nettes englisches Grußwort, 45 bunte Unterschriften drunter, rein in den Umschlag, fertig. Manche davon sind gerade auf dem Postweg nach Deutschland und sollen zu Weihnachten die Förderer Vikasanas erfreuen, eine andere überbrachte herzliche Geburtstagsgrüße an unseren Director Sir.


„Lustig, lustig Trallalallala!“ – Der Nikolaus zu Besuch in Südindien

Bei dem Gedanken an die Adventszeit und die vielen urigen Bräuche, die in Deutschland dazu gehören, fiel uns natürlich auch der gute alte Nikolaus ein, wie er all seinen Besitz mit Kindern teilt und darin sein Glück findet. Gerade hier im Zusammenleben mit unseren Kindern, deren Hintergrund oft so komplex und ausweglos erscheint, wird uns immer wieder bewusst, wie glücklich das Teilen von Zeit, Zuneigung und kleinen Gaben macht und wie wenig dazu gehört, etwas vom eigenen Herz und vom eigenen Reichtum abzugeben. Da liegt die Idee nah, den alten Herren auch hierher einmal einzuladen, den Kindern von seiner Geschichte zu erzählen und einen Abend nach deutschem Brauch zu verleben. 

Nach einiger Recherche über die Legende um Sankt Nikolaus, dem Zusammensortieren der vielen Strophen des Nikolausliedes und dem Besorgen von vielen leckeren Kleinigkeiten konnte er kommen: Unser Nikolausabend. 

Alle Kinder beisammen - offiziell nannten wir das ganze „Cultural Class“ - begannen wir mit einer kurzen Einführung. „In Germany, people love Christmas time. There is Santa Claus, you know, but also one more very nice man. His name is Nikolaus.”  Damit die Kinder den Nikolaus später auch zu sich einladen können, schrieben wir den Refrain -„Lustig, lustig, Trallalallala, bald ist Nikolausabend da!“ – so, wie er in Englisch ausgesprochen würde, an die Tafel an und übten ein bisschen Trallalallala. 

Später lauschten die Kinder gespannt meinen vereinfachten Erzählungen über den Nikolaus, während sie Annis anschauliche Illustrationen bestaunen durften. Immer wieder übersetzten die Älteren Mädchen die Geschichte in Kannada, sodass wir sicher sein konnten, dass alle die Botschaft verstanden hatten.


Dann baten wir alle darum, ihre Variante der Nikolausgeschichte zu malen. Es wurde der traurige Nikolaus nach dem Tod seiner Eltern gemalt, ein alter Mann mit Mitra in Mitten von Kindern, ein in einem roten Mantel Gekleideten, die vielen Taschen voller Früchte. Alle Zeichnungen koloriert berichteten wir noch von dem deutschen Brauch, am Vorabend seinen Stiefel vor die Tür zustellen –in der Hoffnung, dass der liebe Nikolaus ihn mit Schokolade, Mandarinen und Nüssen füllen möge. Von der Idee beflügelt, das Gleiche mit ihren Slippern zu versuchen,  um zu sehen ob der Heilige Nikolaus sich tatsächlich auf den weiten Weg nach Indien macht, sangen alle in brünstig das Nikolauslied mit. Außerdem wurde hitzig darüber diskutiert, welcher Ort dem Nikolaus problemlos ins Auge fallen würde, ohne, dass sich nachts ein Kind auf dem Weg zur Toilette dorthin verirren und sich die Überraschungen der anderen unter den Nagel reißen könnte. Zu einer versöhnlichen Lösung gekommen reihten alle ihre patschnassen Slipper -extra für den Nikolaus saubergewaschen- auf, legten ihre Zeichnung davor und gingen gespannt auf den nächsten Morgen zu Bett.

Als es für uns am nächsten Morgen schon um 5 Uhr hieß, aufzustehen, waren wir selbst ganz beflügelt von unserem Vorhaben, diesmal für 40 Kinder, drei Lehrerinnen, die Köchin und ihren Mann Nikolaus spielen zu dürfen. Mit einem Eimer Bananen, zwei Tüten voll kleiner Schokoladen und bunten Scoubidoubändern bewaffnet schlichen wir durch unsere quietschende Tür und aus dem knarrenden Tor heraus zu den erwartungsvoll aufgereihten Slippers, verteilten alles und saßen die letzte halbe Stunde vor dem Sonnenaufgang in warme Fließpullis gemummelt mit gezücktem Fotoapparat bereit.

 
 Die verschlafenen Augen der ersten Kinder füllten sich mit Freude, als sie gerade aufgestanden nun vor ihren vollen Schlappen standen. „Nikolaus coming, Kanakka. Anniakka, Joakka, see, nam slipper!“ „Suuuper, tumba tumba Thanks, Nikolaus Sir!“ Eine Schokolade naschend fragt uns ein Mädchen, wie der Nikolaus eigentlich so schnell aus Europa hier nach Südindien gelangen konnte. Vielleicht mit einem Lufthansa Direktflug, Frankfurt – Bangalore, „there is no better way to fly“, selbst wissen wir es aber auch nicht genau. Die Überraschung ist eben einfach geglückt -simply.

Montag, 12. Dezember 2011

Die schönsten Flecken Karnatakas, ein Minibus voll Kinder und gute Laune

Einmal im Jahr heißt es, alle Mann rein in den Minibus und los geht die Reise. Einen Tag lang Abenteuer und Freude, Abwechslung und Wissbegierde, Ausgelassenheit und Glück: Einen Tag lang Exposure visit.

Ziele dieser Tagesausflüge sind meist kulturell und historisch bedeutsame Plätze der Umgebung. Es werden Sehenswürdigkeiten besucht, alles Taschengeld zusammengekratzt, um den Budenbesitzern verlockende Kleinigkeiten abzuschwätzen, in der freien Natur von Bananenblättern gepicknickt.

In diesem Jahr durften wir Akkas bei all dem Spaß natürlich nicht fehlen und waren mit drei der vier Hostelgruppen unterwegs durch unser wunderschönes Karnataka, durften nicht nur die faszinierenden Bauten und atemberaubend schöne Natur sondern auch die vor Aufregung und Freude fast platzenden Kinder bestaunen, wie sie alles in sich aufzusaugen schienen.
Aber nun der Reihe nach.

Ein Tag zwischen Tempeln und Palästen – Exposure visit unserer Anna-School-Kinder nach Mysore

Es ist früher Morgen. 4 Uhr, wir werden durch einen dieser schicken Kannada-Popsongs geweckt, die sich neuerdings auf der Speicherkarte unseres Handys befinden. Verschlafen und immer noch müde raffen wir uns auf, eine schnelle Katzenwäsche später werden wir auch schon von den ersten aufgeregten Kindern entdeckt. „Akka, Today trip you come, alla?“ „Come fast, TTvan waiting, Akka!“ Wenig später sitzen wir zwischen unseren kleinen Lieblingen eingepfercht in dem überfüllten Minibus. Die Sitze reichen nicht, kurzerhand wird eine Holzbank zwischen die Sitzreihen geschoben, alle finden irgendwie Platz, es kann losgehen. Und während wir gen Süden fahren, einige schlafen, andere angeregt über das tuscheln, was sie in den kommenden Stunden erwarten wird, der lauten Musik lauschen, die den Bus füllt und sich aneinander kuscheln, geht die Sonne auf. Und kaum da der Tag erwacht ist, sind wir auch schon an unserer ersten Station angelangt, ein noch nördlich von Mysore gelegener Tempel, der barfuß erkundet wird –ganz so wie sich das hier gehört.


 

Der nächste Halt ist Frühstückspause. Während Roopa, die Lehrerin der von der Anna-Schmidt-Schule unterstützten Kinder, für die hungrige Meute den von Zuhause mitgebrachten Chitrana –gelben Gewürzreis, in dem man auch auf Gemüse und Körner stößt- auf die Bananenblätter verteilt, waschen wir uns im kalten Fluss stehend die Gesichter und den Schlaf aus den Augen. 
Nach dem Picknick am Flussufer wird gemeinsam der nahegelegene Tempel erkundet, dann geht die Fahrt weiter zu Tipu Sultans Sommerpalast in Shrirangapattana, in dem unsere kleinen Herren die Waffenkammer bestaunen, während die Mädelsfraktion vor dem Eingang mit den Straßenhändlern um Armreifen und allerlei andere Kleinigkeiten feilscht. 




Schließlich steuern wir auf Mysore zu, doch bevor wir die Stadt und ihrem bezaubernden Palast erkunden, führt die Route auf den großen Hausberg der Stadt, den Chamundi Hill, von dem wir nicht nur Mysore zu unseren Füßen, sondern auch einen weiteren Tempel beschauen dürfen, der der Göttin Chamundeswari und Siegerin über den Demon Mahishasura gewidmet ist.  

Dort machen wir auch die Bekanntschaft mit Nandi, einem Hindu Gott in Form eines riesigen schwarzen Bullen. Da im Hinduismus ihm allein die Fähigkeit zugesprochen wird, Gott Shiva in seinem Zorn zu besänftigen, ruht jener Bulle vor dem Eingang eines jeden Tempels, dem Hort Shivas. 

Inzwischen häufen sich auf unserer Stirn die vielen roten Poojapunkte, die man bei einem jeden Tempelbesuch zum Segen zwischen die Augenbrauen gedrückt bekommt. 

Schließlich in Mysore angelangt, staunen wir nicht schlecht über die Schönheit und Pracht des Palastes, der in früheren Tagen der Sitz der königlichen Familie der Wodyars war und bis heute eine der größten Attraktionen des Landes ist. Hand in Hand mit unseren kleinen Schützlingen streifen wir durch die hohen Säle, schreiten unter den orientalisch gestalteten Bögen und Deckenfenstern hindurch und sind ganz entzückt von dem Spektakel, das sich uns hier bietet. Den Kleinen zu meinen beiden Seiten entfährt immer wieder ein „Hoi, suuuuperrr Akka! Tumba chenagide, alla?“, die Augen irren umher, die kleinen Hände greifen fester nach meiner, sie scheinen das alles überhaupt nicht fassen zu können.

Nach dieser Aufregung spendieren wir erst einmal allen ein Eis am Stiel. Die Sonne steht schon tief, es wird still, während alle in vollen Zügen diese Erfrischung genießen.  Ab und an hört man eine Schokoladenkruste knacken. Anschließend setzt sich unsere kleine Gruppe in Bewegung, es geht vorbei am Palastelefanten und den vielen kleinen Äffchen, die die prachtvolle Fassade entlang klettern.





Ein letztes Gruppenfoto später und im Minibus angelangt lassen sich alle müde auf ihre Plätze fallen, während unser Fahrer Gopi die letzte Station dieses langen Tages ansteuert: ein Wasserpark, in dem die Kinder zu modernen Rhythmen tanzende Wasserfontänen bestaunen können, die in ihren bunten Farben die abendliche Dunkelheit aufhellen wie es in Europa Neujahrsfeuerwerk tut.



Ein Tag 614 Stufen weit über dem Land – Exposure visit der Kinder eines weiteren von Vikasana geführten Kinderheims nach Shravan Belagola, Belur und Halebidu

An diesem Tag sind wir sozusagen nur Gäste. Die eigentliche Akka dieser Truppe ist unsere amerikanische Freundin Hylary, die von August bis November ebenfalls hier mit Vikasana gearbeitet hat. Während wir hier in Chattanahalli leben, war sie in dem von „Asha for education“ geförderten Hostel in Duglapura untergebracht und hat den Alltag von 18 jüngeren Kindern geteilt. So kam es also, dass wir an diesem Morgen mit diesen jungen Damen und Herren erneut im Minibus saßen, diesmal eine etwas kürzere Reise vor uns - gut so, nach dem 5-Stündigen Heimweg zurück von Mysore, der selbst die an weite Busstrecken gewöhnten Inder ziemlich geschafft hatte. 

Das erste Ziel der Fahrt ist die Pilgerstadt Shravan Belagola. Am Fuß des Vindhyagiri- Hügels, der eigentlichen Attraktion dieses kleinen Ortes, halten wir an. Dann heißt es Augen auf und durch –614 in den Felsen gehauene Stufen, die es zu erklimmen gilt, immer wieder ein Blick zurück auf die atemberaubende Landschaft, die sich uns zu unseren Füßen bietet. Oben am Ziel, einem Jaintempel, angelangt werden wir nach einer kurzen Verschnaufpause Zeugen eines faszinierenden Schauspiels zu Füßen der riesenhaften Gomateshvara Staue, die aus nur einem einzigen Stein gemeißelt sich 17,5 m über das Land erhebt.

Dieses Abbild der jainistischen Gottheit ist angeblich die Höchste aus nur einem Stein gehauene Statue der Welt.

Vor uns hält die Gemeinde der Jains, manche von ihnen in weiß gekleidet, manche nackt -sogenannte „Luftgekleidete“-, in diesem Moment ihre Zeremonie ab: Glocken werden geläutet, ein Gesang wird angestimmt, immer wieder wird gesegnetes Wasser auf die steinernen Füße der Gottheit geträufelt. 


Nach dem Abstieg und einem appetitlichen Frühstück erreichen wir eine Stunde später die Tempelstätte von Belur, um all die Geschichten zu erfahren, die uns die Tempelfassaden zu erzählen haben. Auch die Kinder scheinen von dem, was der Fremdenführer zu berichten hat, in eine andere Welt entführt zu werden -in eine Welt von tanzenden, jähzornigen und meditativen Göttern, von starken Elefanten und flinken Äffchen, aus den Steinbildern erwacht. Auch das himmelhohe Tempeltor, der Eingang selbst, ist geziert von unzählbaren Bildern und Figuren, die an diesem Morgen in den wunderschönen blauen Himmel ragen.



Eine erfrischende Kokosnuss später steuern wir Halebidu an, um dort ebenfalls die Tempelstätte und den wunderschönen Park zu erleben. Mit einem Sack Puffreis bewaffnet lassen wir uns nach all der Aufregung ins Gras fallen, genießen den Snack und tollen mit den uns durch den gemeinsamen Ausflug so vertraut gewordenen Kindern auf dem weichen Rasen herum.  


Ein Tag im Fluss und Himmelhoch – Exposure visit unserer Gallihalli Mädels nach Hampi und Hospet

Nachdem der Trip unserer Ältesten aufgrund schlechter Wetterbedingungen oder anderer Schwierigkeiten immer und immer wieder verschoben worden ist, durfte es in dieser Woche tatsächlich los gehen nach Hampi. Dem Hindu-Epos Ramayana zufolge das Reich der Affengötter war das kleine Dorf seit dem 14. Jahrhundert für mehrere Hundert Jahre Hauptstadt und Zentrum eines der größten Hindu-Reiche der Geschichte Indiens. An seine blühende Vergangenheit erinnern heute noch viele Bauten, Ruinen und Denkmäler, die es für uns zu erkunden gilt.

Angesichts der großen Reise -7 Stunden Minibusfahrt hin, 7 Stunden Minibusfahrt zurück- ist die Aufregung groß. Kaum aus der Schule zurück legen unsere Highschoolmädchen los, das Picknick wird bereitet. Auch wir lassen uns den Spaß natürlich nicht entgehen: 125 Chapatti –Weizenfladen-, ein großer Topf Reis und reichlich Uuli –ein Gewürz-Gemüse-Öl, das zum Frühstück unter den Reis gemischt wird-, Chili-Kokosnuss-Chutney, gewürztes Kokosnussgeraspeltes und Mandaki –eben jener Puffreissnack. In Gemeinschaftsarbeit wird parallel dazu das normale Abendessen zubereitet, Ragiball, Reis und eine Gemüsesambar.
Immer wieder rufen die Mädels den aktuellen Chapattistand vom Gasherd herüber – „Eightyseven, Akka!“, während wir zu viert auf dem Boden sitzen, über und über mit Mehl bestäubt und hauchdünn Teig ausrollen.  Anni sitzt eine Fraktion weiter und formt Ragiballs, eine Art Vollkornklöße. Es wird gelacht, gesungen und hin und wieder durch die zwei Küchenräume getanzt. Das Werk vollbracht wird von allem etwas genascht und für gut befunden. 

Nachdem alles bereitet, zu Abend gegessen, die Kleiderfrage geklärt und die Haare geflochten sind,  pferchen wir uns ein weiteres Mal in den von lauter Musik und Bässen dröhnenden Minibus, in dem wir die bevorstehende Nacht über Schlaglöchern und in Richtung Norden reisend verbringen. Kurz vor Hampi angelangt, verrichten alle ihre morgendliche Wäsche im Flussufer: Gesicht, Arme und Beine werden abgewaschen, die Zähne geputzt, die Haare erneut in Form gebracht. Wieder wird von Bananenblättern gefrühstückt.

Am Ziel der Reise angelangt staunen wir nicht schlecht über die steinige Landschaft, die mich entfernt an das Felsenmehr nahe Bensheim erinnert und in mitten derer sich das weitläufiges Gelände des Virupaksha-Tempels sowie ein schnuckeliges kleines Dörfchen wiederfindet.

Während wir gemeinsam mit unseren Lieblingen durch die Anlage streifen und uns von den hinduistischen Legenden erzählen lassen, sind jene ganz von den gewitzten Äffchen und den vielen, unserer inzwischen sehr indischen Wahrnehmung nach absolut unpassend kurz gekleideten „Foreigners“ in den Bann gezogen. „Good morning, Madame, how are you? What is your good name? Where do you come from?” findet eine meiner ersten Englischstunden zum Thema “meeting friends” nun Anwendung.  Auch wir werden von den indischen Touristen genauer unter die Lupe genommen, Shruthi und Mamatha immer wieder fasziniert gefragt, wie es kommt, dass wir Weißen uns indisch kleiden, mit der Hand essen, Wasser aus dem gemeinsamen Becher trinken können, ohne uns die Hälfte überzugießen. Es scheint ihnen unbegreiflich, dass sich Foreigners so anpassen und so selbstverständlich indisch sein können. 


Die nächste Attraktion wartet auch schon, als wir den ersten großen Tempel durch sein mächtiges Eingangstor verlassen. Während wir an kleinen bunten Läden, einem Schlangenbeschwörer, einem „Shivamann“ und einer über und über mit Schmuck behängten Frau vorbeikommen, entdeckt sie eines der Mädchen: Die Elefantendame Lakshmi, die in diesem Moment von ihrem morgendlichen Bad im Fluss zurückgekehrt sich in aller Ruhe von ihrem Mahaut viele gelb-roten Poojapurris auf Stirn und Rüssel drücken lässt. Ich traue meinen Augen kaum, wie sie da in aller Seelenruhe kaum einen Meter von uns entfernt steht, die Ohren schlappen entspannt hin und her, der mächtige Leib nimmt fast die gesamte Gasse ein. Einen Augenblick später stehe ich auch schon direkt vor ihr, ein 2-Rupee Stück in der Hand, nach welchem sie mit ihrem langen Rüssel greift, bevor sie mir, dann auch Anni und Shruthi, mit der Rüsselspitze einen Segensschmatzer auf den Kopf drückt und sich auf den Heimweg in den Tempel macht.



Auch unsere Gruppe setzt sich in Bewegung, es geht eine lange Treppe hinunter zum Fluss. Dort angekommen fackeln wir nicht lang und springen so wie wir sind hinein ins kühle Nass, die Kinder und Shruthi folgen, wir spritzen herum, planschen, schwimmen gegen den Strom und genießen diesen ausgelassenen Moment.




Tropfnass und glücklich spendieren wir jedem ein Eis, das jeder „suuuuperrrr“ findet - „very, very thank you, Akka!“
Die Felsen des Hemakuta-Hügels erklommen legen uns auf den durch die Morgensonne aufgewärmten Boden, um unsere Kleider von der Sonne trocknen zu lassen. Einige der Mädchen beginnen zu tanzen, wir spielen Musik ab, die fließenden Bewegungen und einnehmenden Rhythmen in dieser Szenerie zu erleben, erinnert mich an eines der Bollywood-Musikvideos. Andere Besucher bleiben ebenfalls stehen und bewundern die jungen Talente. Ein weiterer zauberhafter Moment vergeht.




Die Tour geht weiter, zur Spitze des Felsens, wieder hinunter zu den vielen Ständen in Hampi Bazaar, an denen Armreifen, Ketten, Postkarten und Puppen erworben werden. Dann weiter zu einigen anderen Tempeln, einer davon der unterirdisch gelegene Virupaksha-Tempel.


Schließlich erwarten uns das royale Zentrum und sein ummauerter Frauenbezirk, in dem wir das Lotus Mahal –das einstige Lustsschloss der Königin- sowie die Elefantenställe und das archäologische Museum besuchen. Außerdem haben wir die Möglichkeit den Klängen der Musikpfeiler des Vitalla Tempels zu lauschen.




Das Mittagessen -die am Vorabend bereiteten 125 Chapatti, Chutney und eine Portion Reis, die uns eine gesättigte Familie überlassen hat- genießen wir im Schneidersitz auf der Grünfläche vor dem Bad der Königin sitzend und werden auch hier wieder von allen Seiten für unser „Indischsein“ bestaunt. Die Mägen voll, die Picknickvorräte aufgegessen verabschieden wir uns vom bezaubernden Hampi und treten nach einer letzten Station an den Dämmen von Hospet, hinter denen die untergehende Abendsonne auf dem Wasser des Stausees glitzert, die Heimreise an.

Beflügelt wie wir von all den Ausflügen sind senden wir euch beste Grüße in die adventliche Heimat!