Freitag, 16. Dezember 2011

What to do!?

Immer wieder werden wir in Emails oder während Telefonaten aus der Heimat gefragt, was genau eigentlich unsere Aufgabe hier im Projekt ist, wie wir uns in den Hostelalltag einbringen und welche Projekte wir bereits initiieren konnten. Deshalb wollen wir euch in diesem Eintrag einmal einen kleinen Einblick in unsere regelmäßigen Beschäftigungen und all die kreativen Ideen geben, die in den letzten Monaten aus uns herausgesprudelt sind.


Unsere Routine

Da wir den Alltag von 41 Kindern teilen, mit denen wir gemeinsam hier im Hostel in Chattanahalli leben, richtet sich unser Engagement immer nach den Bedürfnissen und Wünschen unserer Lieben. Auch zeitlich sind wir deswegen an den werktäglichen Nachmittag und Abend sowie die Wochenenden gebunden, da sich der Großteil des Tages in der Schule abspielt. 

Während sich die Kleinen bereits morgens um 6 Uhr zu Yoga und Meditation aus den Betten quälen, danach das Haus putzen und ihre Kleider waschen, sind wir spätestens ab halb 9 mit dabei. Nach dem Frühstück wohnen wir ihrem Morgenapell, der indischen Hymne und einem englischen Lied –„I went to school one morning…“- bei, bevor wir sie Hand in Hand vor zum Tor begleiten und warten, bis sich alle auf den Weg gemacht haben. 

Die Zeit bis zur Rückkehr der Kinder aus der Schule verbringen wir entweder hier mit dem Dokumentieren vergangener Projekten, der Vorbereitung von Unterricht oder ganz banalen Dingen wie Waschen, Aufräumen und gemeinsam mit unserer Aunty Mittagessen Kochen. Teilweise nutzen wir die freien Mittage auch, um in unserem Städtchen Tarikere Besorgungen zu machen, uns mit neuem Bastelmaterial einzudecken oder kurz im Office der NGO vorbeizuschauen. Doch bereits um 4 Uhr sind die ersten Kinder wieder zurück. 

Wenn alle eingetrudelt sind und bis es um 6 Uhr zum Gebet und Snack läutet, gestalten wir den Nachmittag. Es wird gespielt, getobt, sich unterhalten. Die aus Deutschland mitgebrachten Brettspiele und Memorykarten erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit.


Nach dem gemeinsamen Snack schließt sich das Abendprogramm an, das immer wieder auch von uns verantwortet wird. Zwei Mal wöchentlich gibt es Classtime, also Unterricht: Während Anni die Kleinen am Computer mit Word und Paint vertraut macht, biete ich für die Älteren Englischunterricht an. Begonnen mit einem „Vorstellungsgespräch“ sind wir inzwischen mit dem Sprechen über die Familie und aller Art von Gefühlen durch und auch den ersten grammatikalischen Regeln näher gekommen. Manch anderer Abend ist von eher kreativer Arbeit gefüllt, es heißt Drawingclass: Wir nennen ein Thema, es wird gemalt, jeder stellt den anderen abschließend kurz sein Bild vor und schließlich wird alles an „Museumsschnüren“ hängend ausgestellt.

Auf die Stift, fertig, los: eine abendliche Drawing Class.

In den Wochenenden sieht die tägliche Routine jedoch immer etwas anders aus: Samstag kommen unsere Lieben schon mittags aus der Schule zurück, der Sonntag ist vollkommen schulfrei. Bei guter Stromversorgung unterrichten wir die Älteren dann nachmittags in den Computerprogrammen Word und PowerPoint  und -wenn alles Putzen, Kleiderwaschen und die Hausaufgaben erledigt sind- wartet eine gemeinsame Playtime sowie musisches und kreatives Werkeln: Einmal wöchentlich besucht Nanda, eine 18-jährige Sängerin, das Hostel, um den Kindern traditionelle Gesänge beizubringen und auch wir basteln zu diesen Gelegenheiten mit den Kleinen an ganz besonderen Projekten herum.

Sonntagmorgen, Music Class: Unsere kleine Rashmi gibt ihr Bestes.

Damit ihr euch darunter mehr vorstellen könnt, hier einige der letzten Vorhaben, die den Alltag der Kinder „verbuntert“ haben.


Ein Projekt dem schönste Tag im Jahr gewidmet: Geburtstagstradition und ein bunter Kalender

Bereits zu Beginn unserer Projektzeit haben wir eine deutsche Tradition aufleben lassen, die uns noch aus alten Kindergartentagen bekannt war: Jedes Geburtstagskind kriegt eine aus einer alten Cornflakespackung gebastelten, regenbogenfarbene Krone aufs Haupt, nimmt vor allen anderen auf einem Stuhl platzt und wird während alle Kinder lautstark „Happy Birthday“ singen von uns hochleben gelassen. Dann verteilt das Kind der indischen Tradition entsprechend kleine Schokoladen oder Kekse an alle und schließlich darf mit dem Frühstück begonnen werden.


Doch fiel uns bei der ganzen Sache auf, dass manchen der Kinder erst nachmittags einfiel, dass  jener Tag ihr ganz Besonderer war, einige andere sogar nicht einmal wussten, wann sie geboren worden waren. Dem musste Abhilfe geschaffen werden, ein Geburtstagskalender musste her! 

Gesagt, getan. Es wurden 12 Blatt sonnengelbe Pappe gekauft, das Layout in allerlei bunten Farben gestaltet, diverse Fotos aus dem Hostelalltag ausgedruckt und eine Drawingclass zum Thema „Freundschaft“ veranstaltet. Anschließend wählten wir die zwölf besten und kreativsten Zeichnungen aus, darunter Bilder von Freunden beim gemeinsamen Spielen, beim Fahrradfahren und Blumenpflücken sowie während des Schulalltages, außerdem zwei Zeichnungen von Geschwister in freundschaftlicher Zuneigung. Als alles fertig arrangiert war, durften die zwölf Gewinner dieses Malwettbewerbs den anderen Kindern das Kalenderblatt präsentieren, welches ihr Bild ziert. –Eine große Aufregung war diese Abschlusspräsentation, auch wegen der Fotos auf jedem Monatsblatt, auf denen sich die Kinder beim Spielen und während der Ausflüge wiederfinden konnten.




 Doch das Wichtigste, der Zweck des Ganzen, das Zusammentragen der Geburtstage wurde durch das „cultural committee“ erledigt -eines von fünf Komitees, die für diversen Aufgaben im Hostelalltag verantwortlich sind. Mit Monatslisten ausgestattet rief jenes Komitee die Kinder namenweisen auf und hakte -im Zweifelsfall- in den offiziellen Registern nach. Schwupdiwup, alle Daten beisammen, konnte der Kalender aufgehängt und seither immer wieder zu Rate gezogen werden, bevor ein fröhliches „Happy Birthday“ das Frühstück einläutet.



Kleinigkeiten im Alltag

Nachdem der bunte Kalender samt der Fotos und Zeichnungen den Kindern so viel Freude bereitet hatte, haben wir kurzerhand lange Kordeln quer durch die Räumen gespannt, in denen die Kinder allabendlich ihre Hausaufgaben erledigen und unterrichtet werden, um daran die übrigen Zeichnungen zur Ausstellung zu befestigen. Nun wechselt das Thema unseres Heimatmuseums monatlich, die alten Bilder machen neuen Zeichnungen Platz. In der Studyhall der Kleinen windet sich seit Neuestem zudem eine Papierschlange durch die Luft, deren Körper aus dem Alphabet besteht und die während einer von Annis Unterrichtsstunden mit den Jüngeren entstanden ist. 

Auch die Sommercamp-Woche im Oktober sowie die Ausflüge nach Mysore und Hampi, von denen wir in den beiden letzten Posts berichtet hatten, boten eine gute Grundlage für ein neues kleines Projekt. Aus den Hunderten von Schnappschüssen, die wir während dieser Erlebnisse aufgenommen hatten, ließen wir Ausgewählte ausdrucken, arrangierten sie auf bunten Pappen und hängten sie für unsere Lieben an die Wände der Studyhalls. Als diese dann nachmittags aus der Schule zurück waren und die vielen bunten Plakate entdeckten, war die Freude groß!


Außerdem sind wir in den letzten Wochen immer wieder damit beschäftigt gewesen, gemeinsam mit den Kindern Grußkarten zu basteln. Alte Pappreste, goldenes „Dairy Chocolate“Papier, Fotos und bunte Stifte, ein bisschen Phantasie – schon waren einzigartige Karten hergestellt, nebenbei war ganz vorbildlich recycelt worden.  Ein nettes englisches Grußwort, 45 bunte Unterschriften drunter, rein in den Umschlag, fertig. Manche davon sind gerade auf dem Postweg nach Deutschland und sollen zu Weihnachten die Förderer Vikasanas erfreuen, eine andere überbrachte herzliche Geburtstagsgrüße an unseren Director Sir.


„Lustig, lustig Trallalallala!“ – Der Nikolaus zu Besuch in Südindien

Bei dem Gedanken an die Adventszeit und die vielen urigen Bräuche, die in Deutschland dazu gehören, fiel uns natürlich auch der gute alte Nikolaus ein, wie er all seinen Besitz mit Kindern teilt und darin sein Glück findet. Gerade hier im Zusammenleben mit unseren Kindern, deren Hintergrund oft so komplex und ausweglos erscheint, wird uns immer wieder bewusst, wie glücklich das Teilen von Zeit, Zuneigung und kleinen Gaben macht und wie wenig dazu gehört, etwas vom eigenen Herz und vom eigenen Reichtum abzugeben. Da liegt die Idee nah, den alten Herren auch hierher einmal einzuladen, den Kindern von seiner Geschichte zu erzählen und einen Abend nach deutschem Brauch zu verleben. 

Nach einiger Recherche über die Legende um Sankt Nikolaus, dem Zusammensortieren der vielen Strophen des Nikolausliedes und dem Besorgen von vielen leckeren Kleinigkeiten konnte er kommen: Unser Nikolausabend. 

Alle Kinder beisammen - offiziell nannten wir das ganze „Cultural Class“ - begannen wir mit einer kurzen Einführung. „In Germany, people love Christmas time. There is Santa Claus, you know, but also one more very nice man. His name is Nikolaus.”  Damit die Kinder den Nikolaus später auch zu sich einladen können, schrieben wir den Refrain -„Lustig, lustig, Trallalallala, bald ist Nikolausabend da!“ – so, wie er in Englisch ausgesprochen würde, an die Tafel an und übten ein bisschen Trallalallala. 

Später lauschten die Kinder gespannt meinen vereinfachten Erzählungen über den Nikolaus, während sie Annis anschauliche Illustrationen bestaunen durften. Immer wieder übersetzten die Älteren Mädchen die Geschichte in Kannada, sodass wir sicher sein konnten, dass alle die Botschaft verstanden hatten.


Dann baten wir alle darum, ihre Variante der Nikolausgeschichte zu malen. Es wurde der traurige Nikolaus nach dem Tod seiner Eltern gemalt, ein alter Mann mit Mitra in Mitten von Kindern, ein in einem roten Mantel Gekleideten, die vielen Taschen voller Früchte. Alle Zeichnungen koloriert berichteten wir noch von dem deutschen Brauch, am Vorabend seinen Stiefel vor die Tür zustellen –in der Hoffnung, dass der liebe Nikolaus ihn mit Schokolade, Mandarinen und Nüssen füllen möge. Von der Idee beflügelt, das Gleiche mit ihren Slippern zu versuchen,  um zu sehen ob der Heilige Nikolaus sich tatsächlich auf den weiten Weg nach Indien macht, sangen alle in brünstig das Nikolauslied mit. Außerdem wurde hitzig darüber diskutiert, welcher Ort dem Nikolaus problemlos ins Auge fallen würde, ohne, dass sich nachts ein Kind auf dem Weg zur Toilette dorthin verirren und sich die Überraschungen der anderen unter den Nagel reißen könnte. Zu einer versöhnlichen Lösung gekommen reihten alle ihre patschnassen Slipper -extra für den Nikolaus saubergewaschen- auf, legten ihre Zeichnung davor und gingen gespannt auf den nächsten Morgen zu Bett.

Als es für uns am nächsten Morgen schon um 5 Uhr hieß, aufzustehen, waren wir selbst ganz beflügelt von unserem Vorhaben, diesmal für 40 Kinder, drei Lehrerinnen, die Köchin und ihren Mann Nikolaus spielen zu dürfen. Mit einem Eimer Bananen, zwei Tüten voll kleiner Schokoladen und bunten Scoubidoubändern bewaffnet schlichen wir durch unsere quietschende Tür und aus dem knarrenden Tor heraus zu den erwartungsvoll aufgereihten Slippers, verteilten alles und saßen die letzte halbe Stunde vor dem Sonnenaufgang in warme Fließpullis gemummelt mit gezücktem Fotoapparat bereit.

 
 Die verschlafenen Augen der ersten Kinder füllten sich mit Freude, als sie gerade aufgestanden nun vor ihren vollen Schlappen standen. „Nikolaus coming, Kanakka. Anniakka, Joakka, see, nam slipper!“ „Suuuper, tumba tumba Thanks, Nikolaus Sir!“ Eine Schokolade naschend fragt uns ein Mädchen, wie der Nikolaus eigentlich so schnell aus Europa hier nach Südindien gelangen konnte. Vielleicht mit einem Lufthansa Direktflug, Frankfurt – Bangalore, „there is no better way to fly“, selbst wissen wir es aber auch nicht genau. Die Überraschung ist eben einfach geglückt -simply.

1 Kommentar:

  1. Der Wahnsinn! Der Beitrag hat mir wirklich das Herz geöffnet!
    Wie viel Mühe ihr euch gebt ist so schön :-)
    Die Kinder haben wirklich Glück mit euch!
    Viel Spaß noch
    Alissa

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