Donnerstag, 19. Januar 2012

Ein arbeitsreicher Jahresbeginn und ein kunterbunter Geburtstagstag

Zwischen Classtime und Streicherei

Kaum im neuen Jahr angekommen erwartet uns ein Berg an Arbeit. Neben dem üblichen Monatsreport an die KKS, die Planung des bevorstehenden Inter-Projectvisits von Lea und Octavia aus Mangalore und dem allwöchentlichem Besuch im Office, um auch unserem Direktor alles Gute für 2012 zu wünschen, stemmen wir für drei Tage den Hostelalltag vollkommen eigenverantwortlich. Shruthi sowie die beiden Lehrerinnen sind zu einer Umfrage nach Kadur Taluk, einem Nachbarbezirk von Tarikere, abberufen, um die dort beschäftigten Kinderarbeiter ausfindig zu machen. Für uns bedeutet das, nicht nur früh aufstehen zu müssen und schon vor dem Frühstück für die fleißig Lernenden da zu sein, sondern auch nach der gewohnten Playtime das allabendliche Gebet und den Snack zu beaufsichtigen, während der Studytime gleichzeitig 41 Kinder von der dritten bis zur zehnten Klasse zu betreuen, parallel dazu je vier Schüler am Computer zu unterrichten, zur Abwechslung eine Malstunde zum Thema „Traumwelt“ zu veranstalten und im Anschluss an das Abendessen noch für ein wenig Unterhaltung zu sorgen.

Eine Verschnaufpause am Mittag bleibt uns jedoch an diesen Tagen vergönnt, weil wir damit beginnen, die Kinderzimmerwände mit bunten, phantastischen Motiven zu bestreichen. Inzwischen können die Kleinen dank dessen unter einer langen Regenbogensternschnuppe oder einem gutmütigen Mond einschlafen und werden vom Duft der Herztulpen oder einer lächelnden Sonne geweckt. Der Raum der sieben Herren unseres Hostels hingegen zeigt das ländliche Idyll in seiner vollen Blüte: eine gemütlich grasende Kuh und ein ausgelassen herumtollender Hund unter einem Traum von Blüten. Sind die Streicharbeiten in allen fünf Zimmern abgeschlossen, werden wir jedem Kind drei persönliche Fotos von Familie und besonderen Momenten im Hostel schenken und damit gemeinsam eine Collage basteln, die am Kopfende eines jeden Bettes unseren Lieben das Gefühl von Heimat geben soll.




Torte und Blütenpracht

Kaum sind unsere jungen Damen von deren Survey zurück, ist es der 5. Januar und wir sind zum 24th anniversary, sozusagen dem 24. Geburtstag VIKASANAs ins Office geladen. Alles über und über mit Hibiskusblüten und Jasmin geschmückt füllt sich der kleine Raum mit zahlreichen Menschen, es wird ein Licht entzündet und die Torte angeschnitten -Ja, es gibt hier in Indien für wirklich jeden Anlass eine solche Torte, ganz gleich ob Neujahr, eine solche Function oder Geburtstag. Im Laufe des Vormittags sprechen Board und Staff member über ihre Erfahrungen mit VIKASANA. Auch wir verlieren, spontan zum Teilen unserer Erfahrungen und einem traditionellen Kannadagesang aufgefordert, einige Worte über unsere Gastorganisation, in der wir uns inzwischen so sehr Zuhause fühlen.

Zwei neue Akkas zu Besuch

„Hi Ociakka! Hi Leakka! How was your journey?“ Nicht nur die Kinder, sondern auch wir sind ganz beglückt, tags drauf die beiden KKS-Freiwilligen Octavia und Lea aus Mangalore bei uns zum „Inter Project Visit“ begrüßen zu dürfen.

Der Inter Project Visit ist die Initiative unserer Entsendeorganisation, der Karl-Kübel-Stiftung, und soll jedem Freiwilligenteam für einige Tage die Möglichkeit geben, auch in die Arbeitsfelder und –weisen einer anderen NGO zu schnuppern, um so noch mehr über regionale Entwicklungshilfe in Südindien zu lernen.

So haben sich also die beiden PRAJNA-Freiwilligen entschieden, deren NGO sich als Beratungszentrum für Frauen und Familien in erster Linie für die Rechte ihrer vom Leben gebeutelten Klientinnen stark macht, aus der Großstadt Mangalore in unser kleines Chattanahalli zu reisen. Sie wollen mehr über das Leben des ländlichen Indiens, die Kinderprojekte VIKASANAs, den Hostelalltag und die Gestaltungsmöglichkeiten dessen lernen.

Neben ausgelassenen Stunden voll Spiel und Spaß mit unseren Lieblingen und einem abwechslungsreichen Sonntag im Hostel, an dem wir gemeinsam eine Malstunde zum Thema „Kinderrechte“ auf die Beine stellen und der wöchentlichen Sitzung des Kinderparlamentes beiwohnen, stehen deshalb die verschiedensten Ausflüge auf dem Plan. Zum Mittagessen in das Heimatdorf unserer Mentorin Shruthi eingeladen kommen wir nicht nur in den Genuss der Kochkünste von Shruthis Mutter, sondern lernen hautnah das Familienleben eines Landwirtes und einer ehemalige Schneiderin kennen, deren zwei Töchter nicht nur hohe Bildungsabschlüsse sondern auch ihren ganz eigenen Kopf vorweisen. Wir begleiten eines unserer Mädchen nach Hause, in eine Siedlung weit abgelegen von den letzten Häusern des Dorfes, und sehen uns unter einem Blechdach auf dem schmutzigen Lehmboden sitzend während dieser Fallstudie mit Kinderarbeit und Schooldropout konfrontiert, in der Luft liegt scheue Traurigkeit über die verstorbenen Eltern und leise Enttäuschung über verspielte Chancen. Wir statten den Kindern eines weiteren VIKASANA-Hostels in Duglapura einen Besuch ab, das verglichen mit unserem Center noch in den Kinderschuhen steckt. Wir begleiten einen Teil unserer Schützlinge in ihre Schule nach Chattanahalli, erleben den morgendlichen Apell und das stolz erfüllte Singen der nationalen und staatlichen Hymnen, das neue staatlich initiierte Unterrichtssystem für die Grundschüler, das mich als „activity based learning“ an die Grundsätze Maria Montessoris erinnert und haben an der Englischstunde einer 7. Klasse teil.
















Wie Lea und Octavia die Tage hier bei uns empfunden und was sie durch den Besuch in VIKASANA gelernt haben, erfahrt ihr auf ihrem Blog unter http://kks-prajna-11.blogspot.com/.

„Happy Birthday, Anniakka!“ – ein ganz besonderer Tag

Schon seit Tagen schütteln die Kinder ihr die Hände, „Advanced Happy Birthday, Anni Akka!“ Als es dann jedoch soweit ist, kommt Anni kaum unbemerkt ins Bad, die Kleinen tänzeln aufgeregt um sie herum und überbringen ihr die besten Wünsche!


Und da der Tag voll Überraschungen stecken soll, erwarten wir unser liebstes Geburtstagskind zum Frühstück mit einer sahnig-gelben Geburtstagstorte, Wunderkerzen und über den kleinen Gabentisch gestreuten, goldenen Glitzersternchen. Nach einem kräftigen Ständchen und dem üblichen Hochlebenlassen der gekrönten Akka, wird die gelbe Geburtstagskerze nicht wie in Deutschland üblich ausgepustet, sondern vor Annis Gesicht kreisen gelassen –ganz so wie es der Swami im hinduistischen Tempel zur Segnung tut. Zwischen den Sitzreihen glitzern übrigens ebenfalls die kleinen goldenen Sternchen und erfreuen unsere Geburtstagsgäste, die beglückt von diesem ganz besonderen Geburtstagsfrühstück, den indischen Currynoodles, zudem von uns persönlich kleine Tortenstücke und Kokoskekse in den Mund gestopft bekommen.


Den Berg von Blumen, Grußkarten und Geschenken auf dem kleinen Tisch zurücklassend begleiten wir die Kinder erst zum Eingangstor, bevor auch wir „Großen“, die Lehrerinnen, Shruthi, unsere Gäste Lea und Octavia und wir, in den Genuss des köstlichen Frühstücks kommen und uns für den bevorstehenden Ausflug zurechtmachen.

Ziel dieses „cultural exposures“ ist der Ambrutapuram Tempel nur eine kurzweilige Rikschafahrt von Tarikere entfernt nahe einem kleinen Dorf gelegen. Als Tochtertempel der beiden uns schon von einem Exposurevisit bekannten Tempel von Belur und Halebidu kleidet auch er sich in eine faszinierende Fassade voll von Bildern und Geschichten. Der Eingangsbereich bietet getragen von zahlreichen massiven Säulen ein schattiges Plätzchen zum Ankommen an diesem heiligen Ort. 


Und so werden das Geburtstagskind und seine Begleiter nach dem Opfern einer Kokosnuss und einigen Bananen vom Swami des Tempels gesegnet. Mit dem roten Bindu auf der Stirn werfen wir anschließend eine Hand voll Reis auf Saraswathi, die Göttin für Bildung, und sprechen ihr und Gott Shiva, denen der Tempel gewidmet ist, unsere Dankbarkeit für diesen zauberhaften Tag aus.


Nachdem wir den Tempel –selbstverständlich rechterhand- einmal von allen Seiten bestaunt haben, finden wir uns außerhalb des Hofs im Schatten einer Palme wieder, picknicken unsere mitgebrachten Leckereien und genießen das offene Gespräch mit unserer wundervollen Mentorin Shruthi. Es geht um Glauben, arrangierte Ehen und die neuesten Kannadahits.


Einen kurzen Kaffee bei entfernten Verwandten Shruthis später machen wir uns auf den Heimweg, ein klappriger Bus schaukelt uns durch die Landschaft, Palmenhaine und weite Felder ziehen vorbei, unter uns ein Schlagloch nach dem anderen. Da ist es, unser Indien, auch an diesem Tag hat es uns wieder ganz in seinen Bann gezogen!

Zurück im Hostel ist Anni eine wirkliche Verschnaufpause jedoch vergönnt, denn die Kinder haben eine kleine Geburtstagsfunction auf die Beine gestellt und freuen sich, uns Ausflügler dazu begrüßen zu dürfen. „Heartly welcome to our Anni Akka, Swagata, Happy Birthday mate tumba daniawadagalo! We also heartly welcome Lial Akka and Oci Akka, our visitors! And heartly welcome also to our Jo Akka!” begrüßt uns Sudha freudestrahlend und ganz offiziell zu diesem Geburtstagsprogramm. Es wird getanzt und gesungen, wir klatschen begeistert mit und tanzen zum abschließenden Gruppentanz Hand in Hand alle gemeinsam –dank des Tanztalentes unserer Kinder inzwischen immer mehr mit den indischen Schritten vertraut.

Und so geht nach einem leckeren Abendessen und einem gemütlichen Beisammensein für Anni und uns drei Geburtstagsgäste ein langer, glückerfüllter Tag zu Ende. Ein einzigartiger Tag, den wir nie vergessen werden! Denn es gibt sicherlich nicht viele junge Damen, die ihren 22. Geburtstag  mit 41 Kindern eine regenbogenfarbenen Geburtstagskrone auf dem Haupt mit Torte und Frühstücksnudeln beginnen, von einem Swami gesegnet in der Hitze dieses Januarmittags unter Palmen picknicken und ihn  mit einer offiziellen Function zu ihren Ehren ausklingen lassen dürfen!  

1 Kommentar:

  1. Immer wieder macht es unglaublich viel Freude, eure Berichte zu lesen.

    Tolle Aktion zum Thema Kinderrechte, bei der die Kinder selber wirklich zu Wort kamen!

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